Belgischer Sommer
Sommer 2009.
Ein gemischtes Team um den belgischen Big Wall-Shootingstar
Nico Favresse war auf Baffin Island gelandet. Warum deren Wahl
gerade auf Baffin Island fiel, hat nicht nur einen guten, sondern
den allerbesten Grund. Ein breiteres Angebot an noch nicht be-
gangenen Big Walls mit schönen Linien findet sich wohl nirgendwo
auf dieser Welt. Das Ziel der ambitionierten Truppe war trotz
der Menge an Möglichkeiten eindeutig: Mount Asgard.
Dutzende Routen schlängeln sich fast inkognito durch die
Wandfluchten des Asgard, doch nur die wenigsten kamen
überhaupt in Frage, wie etwa die Techno-Route Inukshuk
am Nordturm und die Bavarian Direct am Südturm.
Das Team entschied sich für einen Versuch der Bayerischen
Direttissima.Denn sie waren überzeugt, dass diese frei klet-
terbar ist. Sie hatten sich nicht getäuscht: Nach elf Tagen
entlang der Bayrischen Direttissima wich das Team auf den
letzten Seillängen leicht von der Originalroute ab und erreichte
per neuem Ausstieg und mit allerletzter Kraft das südliche
Gipfelplateau des Mount Asgard. Nico und sein Team tauften
ihre fast gänzlich frei gekletterte Version der Bayernroute
The Belgarian und die 850-Meter-Tour mit 5.13b bzw. 8a+/ A1.
Warum „fast gänzlich frei geklettert“?
Denn die Schlüsselstelle in der zehnten,
der schwersten Länge, konnte nur mittels technischer
Zuhilfenahme der Trittleiter und somit A1 bewältigt
werden. Trotzdem: Die Nachricht des Erfolgs ver-
breitete sich rasch. Auch Alex und Thomas konnten
sie kaum übersehen: „Die haben genau das gemacht,
was wir schon lange machen wollten“, erinnert sich
Alex an seine erste Reaktion. Doch halt – der Zug war
noch nicht abgefahren und die Chance noch am Leben.
Für Alex und Thomas bestand kein Zweifel, dass
Nico und Olivier Favresse, Sean Villanueva, Stéphane
Hanssens und die Spanierin Silvia Vidal bei ihrem
elftägigem Single-Push Großartiges geleistet hatten.
„Der Nico und sein Team sind echt hammerharte
Jungs. Fernab der Zivilisation so einen Headpoint
hinzulegen, ist echt nicht ohne“, zollt ihnen
Thomas vollsten Respekt.
Doch so viel die belgisch-spanische Seilschaft
dem Rätsel um die Befreiung der Bayerischen
Direttissima auch hinzufügen könnten, den
letzten Mosaikstein zu legen und es so
vollständig zu lösen, blieb ihnen verwehrt.
Für Alex und Thomas bedeutete das vor allem
eins: einen besseren Grund nach Baffin zu
fahren, kann es kaum geben.
Technisches Klettern
bezeichnet
das Klettern mit Hilfe von Haken, Seilen,
Strickleitern und ähnlichen Hilfsmitteln, die
zur Fortbewegung bzw. Überwindung bestimmter
Passagen benutzt werden. Beim technischen
Klettern gibt es eine Bewertungsskala, die von
A0 bis A5 reicht, abhängig vom Kraftaufwand,
der Schwierigkeit des Hakenschlagens und der
Festigkeit des Felses. Das A steht für das
englische „ artificial“, also für künstlich.
Freiklettern
bedeutet hingegen, dass
die Kletterei frei von technischen Hilfsmitteln
zur Fortbewegung ist und die Sicherung aus-
schließlich gegen den Absturz eingesetzt wird.
Der Begriff
Rotpunkt
bezeichnet das freie
Durchsteigen einer dem Kletterer bekannten
Kletterroute im Vorstieg und in einem Zug, wobei
die Sicherungskette nicht belastet wird und alle
Zwischensicherungen selbst angebracht werden.
Mittlerweile gelten im Highend-Bereich allerdings
auch viele Begehungen als Rotpunkt, wenn die
Zwischensicherungen bereits eingehängt sind.
Frei oder nicht frei,
das ist die Frage.
Das Team um Nico Favresse hat die
Belgarian mit der Schwierigkeit 5.13b, A1 versehen.
Sprich die Route wurde nicht gänzlich frei geklettert.
Nico: „Am Beginn der siebten Seillänge war ich
nicht mehr in der Lage, eine kurze Section frei zu
klettern. Ich schaffte zwar alle Moves, aber nach
einemMonat Hiken hat die Kraft für den Durchstieg
dann doch gefehlt. Deswegen mussten wir hier auf
Silvia Vidals Technokiste zurückgreifen.“
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