EDITORIAL
K
önnen Sie sich noch an Alan Greenspan erinnern? Frü-
her hieß er auch Magier der Märkte, doch diesen Rang
hat ihmMario Draghi längst abgelaufen. Denn Draghi
musste noch nie wirklich etwas tun. Es reichte wenn er an-
kündigte, dass er etwas tun werde, wenn’s drauf ankommt.
Im Vergleich zu den USA oder Japan hat Draghi/die EZB aber
eigentlich nur die Hände in den Schoß gelegt. Auch diesmal
reichte die Ankündigung ein ABS-Aufkaufprogramm zu über-
legen, die verunsicherten Märkte zu beruhigen. Obwohl
manch' Europäer sich angesichts der Ukraine-Krise ein wenig
an die Zeiten des kalten Kriegs zurück erinnert fühlt. Obwohl
sich Israelis und Palästinenser die Köpfe einschlagen. Obwohl
der erdölreiche Nahe und Mittlere Osten einem Pulverfass
gleicht. Afghanistan gibt’s in den Augen der Weltöffentlich-
keit gar nicht mehr. In Pakistan und Indien gibt’s Jahrhun-
dert-Fluten, keinen juckt’s - um in die Randspalten der
Gazetten zu kommen, können in Nigeria gar nicht mehr
genug Kinder entführt werden - Ebola schafft’s gerade noch,
wenn in der Heimat selbst ein Fall befürchtet wird ....
Diesmal kann es Draghi aber nicht mehr beim einfachen-
Wirken lassen seiner Worte belassen. Die Märkte fordern ve-
hement, dass die Super-Bazocka ausgepackt wird. Wenn
nicht, wird das Geheul groß sein. Und vor allem an risky
Märkten wird das Gezeter besonders groß sein. Denn Aktien
preisen ja immer die Zukunft ein, heißt es. Und eingepreist
ist die Super-Bazocka. Nur so ist zu erklären, dass sowohl
Aktien wie auch Anleihen jeweils Rekordniveaus erklom-
men haben. Seit ewig geltende Korrelationen sind aufgeho-
ben – eigentlich müsste man Harry Markowitz den
Nobelpreis wieder aberkennen.
Warum Super-Bazocka? Weil Draghi und Co nichts anderes
mehr übrig bleibt. Mit Daten belegt ist die ungünstige Wachs-
tumsdynamik: Die Eurozone stagnierte im Q2. Inklusive
Deutschland verzeichneten rund zwei Drittel der Eurozone
negative Wachstumsraten. Gleichzeitig sank die Inflations-
rate auf den neuen Tiefpunkt von 0,4%, weit entfernt von der
angestrebten Zielgröße von knapp 2% - bei Draghi schrillen
alle Alarmglocken. Ein Blick auf Japan und seine verlorenen
Jahrzehnte scheint ihm auch Recht zu geben.
Die Inflationsrate mittels Zinspolitik anzufachen ist für
Draghi jedenfalls ein aussichtsloses Unterfangen. Dazu reicht
ein Blick auf den VPI und seine zinssensitiven Komponenten.
Nahrungsmittel und Getränke etwa haben eine Gewichtung
von mehr als 15% – Cola-Kauf auf Pump? Wenn dem einmal
so ist, erleben wir gerade eine neue Große Depression.
Bleibt eigentlich nur der Bereich Wohnen mit einer Ge-
wichtung von etwas mehr als 20 Prozent. Aber auch dort
werden weitere Zinssenkungen – wohin auch noch bei 0,05
Prozent? – nicht den erwünschten Turbo-Effekt zeigen. Sind
die Hypothekarzinsen in Österreich bereits niedrig – aber
werfen Sie einmal einen Blick nach Deutschland – unter 2%
auf zehn Jahre fix sind dort bereits möglich. Politisch er-
wünscht wäre ein Erfolg an dieser Front auch nicht: Miet-
preisbremse ist das geflügelte Wort, das in Deutschland bei-
nahe bereits Gesetzesstatus hat.
Darum die Super-Bazocka – den Markt mit Geld über-
schwemmen, indem einfach vorhandene Verbindlichkeiten
aufgekauft werden. Und da der Geldfluss durch immer straf-
fere Regularien nicht so richtig in die Gänge kommen kann,
muss die Super-Bazocka alles bisher gesehene in den Schatten
stellen. Diesem Szenario wird
an den Märkten eine hohe
Wahrscheinlichkeit zugebilligt –
und ist somit auch zu einem
guten Teil eingepreist.
Doch was wenn sich Draghi gegen den deutschen Stabili-
tätsgedanken nicht durchsetzen kann? Die Enttäuschung an
den Märkten wäre groß. Das heißt jetzt nicht, dass Sie sofort
demMarkt den Rücken kehren müssen. Denn erstens
kommt es immer anders, zweitens soll man sich nicht gegen
den Markt - vor allem Notenbanken - stellen, drittens Trends
möglichst lange reiten und viertens gibt es auch in den meis-
ten Marktphasen den einen und anderen Gewinner. Fix ist
nur eines: Wer sein Geld nicht veranlagt, nimmt sich jede
Chance es zu vermehren.
Relativ klar ist, dass diese Gewinner eher am Aktien-,
denn am Anleihenmarkt zu finden sind. Womit ich wieder
zu Japan und seinen verlorenen Jahrzehnten komme. Wir
erinnern uns an ‘Abenomics’, das massive Quantitative Ea-
sing, das wir uns nun so sehr von Draghi wünschen? Nun,
Japans Inflationsrate scheint aus dem Deflationskeller ent-
kommen. Doch wohin? Japan verzeichnet zuletzt mit 3,4%
die höchste Inflationsrate der G10 - das bei einem BIP-Rück-
gang im Q2 von 1,7%. Und die Anleiherenditen sind tief wie
in den besten Deflationszeiten: 0,5% für zehnjährige Bonds.
Sieht so ein Erfolgsmodell aus? Aus Sicht einiger Marktak-
teure schon: Staatsschulden werden Richtung Anleger ver-
schoben. Woher aber in Europa Inflation kommen sollte,
wenn doch die Einflussmöglichkeiten der Notenbank per
Zinspolitik begrenzt ist? Nun, was für Japan Öl, ist für
Europa Gas. Wen wollen wir klagen, wenn Putin den Gas-
preis z.B. einfach verdoppelt – Lieferung gegen Vorauskasse?
Die billigen Chinesen, die jahrelang im Westen für preis-
dämpfende Effekte durch Billigproduktion sorgten, gibt es
auch nicht mehr in diesem Maße. Je mehr auch dort der Le-
bensstandard steigt, desto teurer wird für uns der Einkauf.
Auch das könnte/sollte die EZB davon abhalten, die Bazocka
zu sehr aufzuladen – auch wenn die Märkte damit ent-
täuscht werden - wie auch der Blick gen Japan.
Und wäre das wirklich schlecht? Die EZB hat sich Preissta-
bilität als oberstes Gebot aufgelegt. Hand aufs Herz: Klingt
0,4 nicht viel stabiler als 2,0%? Sollen wir uns also wirklich
freuen, wenn das Experiment Super-Bazocka gestartet wird,
oder eher fürchten, dass Wolfgang Goethe und sein Zauber-
lehrling Mario Draghis Magier-Künste demaskieren: „Die ich
rief, die Geister werd ich nun nicht los.“
Freuen wir uns nicht zu früh
VON ROBERT GILLINGER
Draghi hat noch
nie gehandelt.
Diesmal?