dere die wirtschaftliche Lage – verbessern wird. Doch wir vergessen dabei, wie sehr sich der
Zustand der Welt bereits verbessert hat. Als das Weltwirtschaftsforum 1971 gegründet wur-
de, lebten auf der Welt rund vier Milliarden Menschen, die Hälfte davon in Armut. Heute gibt
es weltweit etwa sieben Milliarden Menschen, und die Zahl jener, die unter unzumutbaren
Bedingungen lebt, ist dieselbe wie damals. Die durchschnittliche weltweite Lebenserwartung
hat sich seit 1970 um zehn Jahre erhöht – von 60 auf 70. Oder man bedenke die Anzahl auto-
ritärer Regime, die in den letzten 40 Jahren zusammengebrochen sind, und die Anzahl der
neu entstandenen Demokratien. Und die Weltwirtschaft ist während der letzten drei Jahre
um 4% gewachsen – obwohl sie derzeit die schlimmste weltweite Rezession seit 1945 durch-
macht.
Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, doch wir dürfen die sehr realen Fortschritte, die
wir relativ betrachtet gemacht haben, nicht vergessen.
Um der heutigen Spirale des Pessimismus Einhalt zu gebieten und einen Burnout beim Kri-
senmanagement zu verhindern, müssen wir der Zukunft in sehr viel positiverer, konstrukti-
verer und dynamischer Weise entgegensehen und die Widerstandsfähigkeit erwerben, uns
an sich verändernde Umstände anzupassen, plötzlichen Erschütterungen widerstehen und
uns von ihnen erholen, während wir zugleich kritische Ziele weiterverfolgen. Es ist für eine
erfolgreiche Zukunft von entscheidender Bedeutung, dass wir einen dynamischen, optimis-
tischen Ansatz – kühne Visionen und sogar noch kühneres Handeln – mit den notwendigen
Maßnahmen zur Stärkung unserer Risikoresistenz kombinieren. Das Thema des diesjährigen
Jahrestreffen in Davos heißt daher „Resilient Dynamism“, was als widerstandsfähige Dyna-
mik übersetzt werden kann.
Insgesamt wünsche ich mir, dass das Jahrestreffen in diesem Jahr zwei zusätzliche Ziele er-
reicht. Erstens hat die Wirtschaftskrise eine defensivere, eigensüchtigere und – auf staatli-
cher Ebene – stärker protektionistische Haltung herbeigeführt. Es fehlen große, einende Vi-
sionen, und der Druck nach Abschottung statt Einigung nimmt weiter zu. Dies hat die Fort-
schritte bei vielen der bestehenden Probleme – u.a. der Verringerung der Kohlenstoffemis-
sionen, der Schaffung vonMaßnahmen zur weltweiten Finanzregulierung und des Abschlusses
der globalen Handelsverhandlungen der Doha-Runde, um nur einige zu nennen –, die welt-
weite Aufmerksamkeit erfordern, zum Erliegen gebracht.
Gemäß demMotto des Forums – „Unternehmertum im globalen öffentlichen Interesse“ – sind
die Gespräche in Davos von einem echten Geist der Weltbürgerschaft bestimmt. Dies be-
deutet, Lösungen zu prüfen, die im Interesse der Weltgemeinschaft liegen (und zugleich den
nationalen und lokalen Interessen dienen), und zwar unter besonderer Berücksichtigung künf-
tiger Generationen.
Das Forum tritt seit jeher für den Gedanken unternehmerischer Sozialverantwortung ein –
oder anders ausgedrückt, für die Vorstellung, dass Unternehmensführer nicht nur ihren Mit-
arbeitern und Aktionären gegenüber rechenschaftspflichtig sind, sondern auch ihren Ge-
meinwesen und der Gesellschaft als Ganzer. Mein zweites Ziel für Davos ist daher in diesem
Jahr, dass alle Führer erkennen, dass mit ihren wirtschaftlichen Verantwortlichkeiten mora-
lische und soziale Verpflichtungen einhergehen.
Unternehmerische Sozialverantwortung bemisst sich daran, wie die Unternehmen die Um-
stände für ihre Mitarbeiter, Aktionäre, Gemeinwesen und die Umwelt verbessern. Doch mo-
ralische Verantwortung reicht weiter: Sie spiegelt die Notwendigkeit wider, dass sich Unter-
nehmen grundlegenden ethischen Fragen wie gesellschaftlicher Einbindung, Würde und
Gleichheit stellen.
Es ist meine Hoffnung, dass das Jahrestreffen als Katalysator und Integrator für Initiativen
dienen wird, die zentrale Probleme auf der globalen Agenda voranbringen. Von Albert Ein-
stein stammen die warnenden Worte: „Die Welt, so wie wir sie geschaffen haben, ist ein Pro-
zess unseres Denkens. Sie lässt sich nicht ändern, ohne dass wir unser Denken verändern.“
Wir müssen jeweils Verantwortung innerhalb unserer eigenen Handlungssphäre überneh-
men – diese dynamischer und risikoresistenter machen – und als echte globale Treuhänder
agieren, getragen von einer moralischen Rechenschaftspflicht für die Menschheit. Dies ist die
Welt, in der wir leben; wir alle haben eine Rolle zu spielen.
Aus dem Englischen von Jan Doolan
Copyright: Project Syndicate, 2013
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Die Notwendigkeit der globalen
Zusammenarbeit war noch niemals
größer als heute.
Wir müssen der Zukunft sehr viel
positiver, konstruktiver und dynami-
scher entgegen sehen.
Es ist die moralische Verantwortung
der Unternehmen, sich grundlegen-
den ethischen Fragen zu stellen.
KLAUS SCHWAB
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JÄNNER/FEBRUAR 2013
wirtschaftsblatt.at
Fotos: EPA/Laurent Gilleron (4)
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