GERHARD FEHR
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JÄNNER/FEBRUAR 2013
wirtschaftsblatt.at
Z
ÜRICH – Nicht jeder ist so klug wie Al-
bert Einstein. Nicht jeder verarbeitet In-
formationen so verlässlich wie IBMs Su-
percomputer Deep Blue. Und nicht jeder
ist so willensstark wie Mahatma Gandhi.
Klingt nachvollziehbar, oder? Trotzdem halten große
Teile der Wirtschaftswissenschaft bis heute an einem
Menschenbild fest, das genau vom Gegenteil ausgeht.
Vom Homo oeconomicus, der immer rational handelt
und dabei unbeirrbar seinen persönlichen Nutzen ma-
ximiert. Von einem Prototypen, der zu gleichen Tei-
len aus Einstein, Deep Blue und Gandhi besteht.
Dieser Übermensch ist die Grundlage unserer Wirt-
schaftspolitik. Sie glaubt an den Egoismus des Indivi-
duums und daran, dass das Kollektiv am meisten pro-
fitiert, wenn sich dieser Egoismus frei entfalten kann.
So weit die Theorie. In der Praxis zeigt sich, dass der
Mensch alles andere ist als ein Homo oeconomicus. Er
macht ständig Fehler, trifft unlogische Entscheidun-
gen, wird von Verlustängsten geprägt und liebt den
Status quo. Er legt großen Wert auf Fairness und Ko-
operation. Und er ist von Natur aus auch sozial und
mit einem sicheren Instinkt fürs Gute ausgestattet.
Was auf den ersten Blick vielleicht wie das Weltbild
eines naiven Träumers klingt, basiert auf unzähligen
Laborexperimenten und Feldstudien von Verhaltens-
ökonomen. Sie zeigen, dass unser Zusammenleben und
Wirtschaften von sozialen Präferenzen geprägt sind –
also der Motivation, etwas für andere zu tun, das weit
über den materiellen Eigennutzen hinausgeht. Diese
Erkenntnisse können nicht nur Unternehmen zu ei-
nem nachhaltigen Erfolg verhelfen oder das Leader-
ship im Management verbessern, sondern erklären
auch die Errungenschaften unserer Zivilisation.
Zum Beispiel die Demokratie. Um sie herbeizuführen,
bedurfte es in der Geschichte immer Menschen, die
für die Weiterentwicklung der Gemeinschaft hohe Ri-
siken eingingen, die in keinemVerhältnis zu ihren per-
sönlichen Vorteilen standen. Egal ob auf dem Tahrir-
Platz in Kairo oder dieser Tage in Syrien: Diese Vor-
gänge gesellschaftlicher Kooperation lassen sich mit
dem Modell des Homo oeconomicus nicht erklären.
Trotzdem lautet die Frage weniger, ob es dieser Tage
noch Bestand hat. Vielmehr geht es darum, wie wir die
Kenntnis um das irrationaleWesen des Menschen und
seine sozialen Präferenzen in der Praxis anwenden.
Ein globaler Klimaschutz etwa kann erst dann funk-
tionieren, wenn politische Vertreter verstehen, dass
die Verteidigung ihrer nationalstaatlichen Interessen
keine Lösung ist. Anstatt auf Klimagipfeln keine Re-
sultate zu erzielen, gehören hier endlich Experten an
einen Tisch geholt, die Kooperations- und Anreiz-
strukturen für einen funktionierenden Klimaschutz
entwerfen.
Oder der Kampf gegen die Nikotinsucht: Seit Jahren
wird öffentliches Geld für Plakatkampagnen vergeu-
det, die Menschen dazu anreizen sollen, endlich mit
dem Rauchen aufzuhören – ohne Erfolg. Viel effizien-
ter wäre es, darüber nachzudenken, mit welchen Maß-
nahmen man jene Kooperationsräume schaffen kann,
die in Rauchern den Wunsch wecken, ihre Mitmen-
schen nicht mehr zu stören.
Sicher, kein Mensch ist bereit, unendlich zu kooperie-
ren. Es gibt genug Momente, in denen es sinnvoll ist,
zuerst auf sich zu schauen. Gerade darum ist es wich-
tig, Kooperation und Altruismus so anzuregen, dass
nur wenige Menschen in Versuchung geraten, egois-
tisch zu handeln. Die Verhaltensökonomie kann dabei
helfen, genau diese Lösungen zu finden. Allerdings nur,
wenn wir endlich anerkennen, wie Menschen wirklich
sind – und nicht daran festhalten, wie sie sein sollten,
damit sie in das normative Bild des Homo oeconomi-
cus passen.
Gerhard Fehr Der Österreicher ist Unternehmensberater, Mitgründer und CEO von FehrAdvice. Das Beratungsunternehmen mit Sitz in Zürich
setzt auf die neuesten Erkenntnisse der Verhaltensökonomie, also auf jenes Entscheidungsverhalten, das den scheinbar irrationalen menschli-
chen Faktor berücksichtigt.
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