DENNIS NALLY
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JÄNNER/FEBRUAR 2013
wirtschaftsblatt.at
L
ONDON – BeimThema Nachwuchskräfte sind sich Vorstandschefs einig: Obwohl
es weltweit noch nie so viele qualifizierte und mobile Arbeitskräfte gegeben hat,
ist es schwieriger als je zuvor die richtigen anzuwerben – und sie dahin zu be-
kommen, wo sie ammeisten gebraucht werden. Bei meinen Gesprächen mit Füh-
rungskräften auf aller Welt kommt diese Herausforderung immer wieder zur Spra-
che. Sie zählt ebenfalls zu den zentralen Erkenntnissen, zu denen die aktuelle Branchenaus-
wertung von PricewaterhouseCoopers „Global CEO Survey“ gelangt ist. Über die Hälfte der
von PwC befragten CEOs – und 62% in der Region Asien-Pazifik, der Heimat des größten Ar-
beitskräftepotenzials weltweit und der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften – be-
stätigte, dass die vergebliche Suche nach Mitarbeitern mit Schlüsselqualifikationen ihr Wachs-
tum gefährden könnte.
Der Grund sind ein chronisches Qualifikationsdefizit und einMissverhältnis zwischen Angebot
und Nachfrage. Der Aufstieg der Schwellenländer schafft Arbeitsplätze an Orten, an denen
es schwierig ist geeignete Mitarbeiter zu finden. Der internationale und lokale Wettbewerb
um Arbeitskräfte, die die richtigen Fähigkeiten besitzen verschärft sich zusehends. In alten
Wirtschaftszweigen wie auch in neuen Branchen entstehen neuartige Arbeitsplätze, für die
viele Hochschulabsolventen schlecht gerüstet sind. Die Nachfrage beschränkt sich dabei nicht
allein auf technisches Know-how; Unternehmen sind auf der Suche nach internationaler
Erfahrung, umfassender sozialer Kompetenz („Soft Skills“) und Anpassungsfähigkeit.
Vor allem in den Industrienationen lassen demographische Trends die Erwerbsbevölkerung
schrumpfen und eine neue Generation von Mitarbeitern mit anderen Erwartungshaltungen
entsteht. Während die Zahl der Älteren steigt und die Geburtenrate sinkt, verkleinert sich der
Arbeitskräftepool. Junge Leute, die mit Technologien groß geworden sind, haben hohe
Ansprüche und eine ganz andere Sicht auf Arbeit, Flexibilität und Vergütung. Die Bindung
von Mitarbeitern stellt ebenfalls in vielen Ländern ein großes Problem dar, vor allem in
Schwellenländern. Teilweise sind schnell steigende Gehälter für den häufigen
Arbeitsplatzwechsel verantwortlich, aber es gibt auch andere Gründe für die sinkende Loyalität
gegenüber dem Arbeitgeber.
Es gibt keine einfache Lösung für diese Probleme. Die Erschließung zu wenig ausgeschöpfter
Potenziale auf demArbeitsmarkt – so etwa Frauen und ältere Arbeitnehmer – kann Unternehmen
helfen, die mit dem Problem konfrontiert sind Nachwuchs zu finden. Doch während immer
mehr Unternehmen in Vielfalt und die Einbindung bestimmter Mitarbeitergruppen investieren,
tun sie sich immer noch schwer, greifbare Ergebnisse zu erzielen. Eines ist sicher: Um diese
Herausforderungen zu meistern, können Unternehmen nicht so weitermachen wie bisher.
Unternehmensführer müssen einen strategischeren Ansatz beimManagement ihrer Belegschaft
verfolgen – und ihr geplantes Wachstummit den richtigen Mitarbeitern, die über die richtigen
Fähigkeiten verfügen und die am richtigen Ort sind vorantreiben. Das klingt einfach, aber es
wird zunehmend schwieriger diesen Plan in unserem vernetzten globalen Markt umzusetzen.
Bessere Personalplanung ist ein Anfang. So können Unternehmen fundierte Entscheidungen
treffen, was für Mitarbeiter gebraucht werden und welche Art von Personal an welchen Orten
verfügbar ist.
Ein tiefes Verständnis und Respekt für das, worauf Mitarbeiter wirklich Wert legen, ist ein
wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem Unternehmen, das die besten Talente auf allen
Hierarchieebenen und an allen Standorten anzieht, motiviert und an sich bindet. Ein weiterer
wichtiger Schritt besteht imKnüpfen von Beziehungen zu den Institutionen, die neueMitarbeiter
hervorbringen – Schulen, Universitäten und Berufsausbilder. Die traditionellen Lehrpläne
halten weder mit dem Wandel Schritt, noch mit den Anforderungen von Unternehmen; um
Veränderungen bewirken zu können, müssen Unternehmensführer eine umfassende
Zusammenarbeit mit Bildungsinstitutionen und politischen Entscheidungsträgern eingehen.
Es gibt Anzeichen, dass sich die Dinge zum Besseren wenden. Unternehmen fangen an, einen
langfristigeren, strategischen Ansatz zu verfolgen, um die Kluft zwischen dem, was sie haben,
was sie brauchen und was verfügbar ist zu schließen. Dazu gehört auf Führungsebene die
Fokussierung auf eine gute Nachfolgeplanung, Mobilitätsstrategien und Diversity-Programme
– diese Initiativen dürfen bei der Unternehmensplanung nicht als nebensächlich abgehakt
werden. Die Durchführung einer solchen Analyse und Prognose ist umso wichtiger, wenn
Unternehmen in neue Märkte eintreten, wo andere Risiken (so etwa Qualifikationsdefizite,
hohe Personalfluktuation oder Kostenexplosionen) schnell über Erfolg und Misserfolg
entscheiden können. Während die Anpassung der Personalstrategien an die Ziele der
Unternehmen immer wichtiger wird, gewinnen Personalthemen an Bedeutung. Nachwuchspläne
werden zum integralen Bestandteil von Businessplänen.
Ich werde bei der Jahrestagung 2013 des Weltwirtschaftsforums in Davos eine Gesprächsrunde
mit dem Titel „The Human Capital Context“ moderieren. Diese Veranstaltung wird sich den
strategischen Veränderungen und den Fragen im Rahmen dieses Wandels widmen, die die
Herausforderungen in der Personalarbeit zu einem der zentralen Anliegen von Unternehmen
werden lassen. Die Gesprächsrunde wird die tatsächliche Tiefe des Nachwuchsproblems, die
strukturelle Natur der Jugendarbeitslosigkeit und den Einfluss von Technologien auf die
Ausbildung von Arbeitskräften thematisieren. Es verspricht eine interessante, lebhafte und
wichtige Debatte zu werden.
Aus dem Englischen von Sandra Pontow.
Copyright: Project Syndicate, 2013
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Obwohl es weltweit noch nie so viele
qualifizierte und mobile Arbeitskräf-
te gegeben hat, ist es schwieriger als
je zuvor, die richtigen anzuwerben.
Traditionelle Lehrpläne halten
weder mit dem globalen, vernetzten
Wandel Schritt, noch mit den Anfor-
derungen von Unternehmen.
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